Unser Fördermitglied Oliver Arend hat sich Make: Rockets – Down-to-Earth Rocket Science durchgelesen und folgende Rezension erstellt. Viel Spaß beim Lesen!
Alleine der Titel des englischsprachigen „Make: Rockets“ schafft es schon mal, die Modellraketen aus der angestaubten Modellbauecke und dem Zwielicht des bombenbastelnden Terroristen in die Arduino-gesteuerte, LED-blinkende und vom 3D-Drucker-Surren erfüllte Maker-Welt zu ziehen. Es verspricht auch, typisch amerikanisch mit gefühlt einem Ausrufezeichen hinter jedem Satz, ein kleines Studium der Luft- und Raumfahrttechnik am Küchentisch, im Bastelkeller und auf der Wiese.Da ich seit einem High-School-Austausch vor 15 Jahren Raketen baue und das Hobby auch zum Beruf gemacht habe, war ich nun gespannt, ob das Buch hält was es verspricht – oder ob es sich darauf beschränkt, einfachste Bastelanleitungen für druckluftgetriebe Fanta-Flaschen, Modellraketen mit Gelber-Sack-Fallschirm und Müslikarton-Höhenmesser wiederzugeben, die man sich auch an einem Nachmittag im Internet zusammensuchen kann.
Der Autor Mike Westerfield steigt auch gleich mit ein paar Experimenten ein, für die man alles zuhause hat oder zumindest in jedem Supermarkt kaufen kann: Streichholzraketen, Luftballonraketen und Strohhalmraketen. Die allererste Rakete kann also direkt im Garten oder auf der Straße vorm Haus starten. Die Bilder sind hervorragend, die Anweisungen klar und detailliert. Vor allem aber merkt man, dass der Autor das alles auch selbst gemacht hat, nicht nur ein Mal: Zahlreiche Hinweise, was alles schief laufen kann, oder wo Gefahren lauern. Und selbst der Studiumsaspekt kommt jetzt schon nicht zu kurz: Das Rückstoßprinzip, auch als Newtons 3. Gesetz bekannt, wird anschaulich erklärt.
Auch im nächsten Abschnitt steht Sicherheit bei Westerfield ganz oben: Die Flugstabilität sorgt dafür, dass die Raketen einer vorhersehbaren Flugbahn folgen statt wild umherwirbeln. Die Sicherheit war auch die treibende Kraft, dank der sich aus gefährlichen Kellerbasteleien eines der sichersten Hobbys der Welt wurde, eine Entwicklung die der Autor kurz schildert. Vom Aufbau eines klassischen Modellraketentreibsatzes geht es dann zu einer ausführlichen Beschreibung der einzelnen Flugphasen, und welche Aufgaben die einzelnen Teile der Rakete dabei übernehmen.
Das bildet die Grundlage für einen wichtigen Teil des restlichen Buches: Zunächst wird detailliert der Bau der ersten „richtigen“ Rakete beschrieben. Alle benötigten Teile und Werkzeuge sind aufgelistet, welche Änderungen man gefahrlos vornehmen kann, und auch die Informationen zu Klebstoffen und Lackierung sind sehr hilfreich für den Einsteiger – online entwickeln sich hierzu meist hitzige Debatten. Zu jedem Schritt gibt es gute Fotos, detaillierte Beschreibungen und immer wieder nützliche Tipps, wie zum Beispiel das Beachten der Faserrichtung beim Schneiden von Balsaflossen.
Neben der Rakete wird ja auch eine Startrampe und ein Zündgerät benötigt. Hier erklärt Westerfield wieder sehr gut alle Sicherheitsaspekte wie Mindestabstand und Prüfströme, untermauert mit eigenen Erfahrungen. Wer sich die gezeigte Rampe und das Zündgerät anhand der sehr guten Anleitung selbst baut, ist besser bedient als mit Einsteigermodellen aus dem Handel.
Mit Rakete, Rampe und Zündgerät macht man sich dann auf den Weg zu einem geeigneten Startplatz. Nützliche Hinweise zu Mindestgröße und Windgeschwindigkeiten, Checklisten für den Startkoffer fehlen hier nicht. Und auch der von den Modellraketenverbänden sowohl in den USA als auch in Deutschland anerkannte Sicherheitskodex wird einmal mit ausführlichen Kommentaren zu jedem Punkt besprochen.
Langsam steigt die Spannung, denn jetzt kommt es endlich zum ersten „echten“ Raketenstart (nach ca. einem Viertel des über 500 Seiten starken Buches): Wie setze ich den Motor ein, wie packe ich den Fallschirm richtig, wie setze ich einen Zünder ein und sichere ihn vorm Herausfallen. Nach den letzten Checks, ob Startgelände und Luftraum frei sind, kann der Startknopf gedrückt werden.
Wer aus welchen Gründen auch immer keine Raketen mit Feststoffantrieb fliegen kann (zu jung, zu teuer, kein Platz …) der kann sich auch an einer Druckluftrakete versuchen. Hier gibt es ein ganzes Kapitel, gewohnt ausführlich, mit hervorragenden bebilderten Anleitungen für Startrampe und Raketen.
Neben der vielen Praxis wurde ja auch ein kleines Luft- und Raumfahrttechnik-Studium versprochen. Das Thema Flugstabilität, ein sehr wichtiger Sicherheitsaspekt, wird anhand alltäglicher Beispiele (Murmeln in/auf Schüsseln, Pfeile mit Federn) und einfacher Expiermente eingeführt, bevor es dann zu umfangreichen Berechnungen und Softwareeinsatz geht. Am Ende sollte man sich zumindest bei einfachen Raketen keine Sorgen mehr machen, ob sie denn auch wirklich geradeaus fliegen.
Nach dem erfolgreichen Flug fragt man sich häufig nach der erreichten Höhe. Westerfield liefert
– eine Bauanleitung für einen einfachen Peil-Winkelmesser,
– eine ausführliche Bauanleitung für einen Theodolit
– sowie genug Theorie und den Quellcode für die notwendigen Berechnungen,
– und Informationen zur Funktion von barometrischen Höhenmessern.
Für die sichere Bergung aus der Höhe gibt es ein ganzes Kapitel, das der Auswahl geeigneter Fallschirme oder Strömerbänder gewidmet ist.
Wer sich eine besonders hoch fliegende Rakete zum Ziel gesetzt hat, wird ebenfalls fündig: Der Einfluss auf den Luftwiderstand jeder einzelnen Komponente wird ausführlich erklärt, dazu gibt es Beispielrechnungen. Kennt man den Luftwiderstand, kann man mit einfachen Formeln, komplexeren Zeitschrittverfahren oder Simulationsprogrammen die Höhe vorausberechnen. Ein wichtiger Aspekt, den das Buch fördern möchte: Man muss lernen, die Beschränkungen und zugrundeliegenden Annahmen der Software zu verstehen, um die Ergebnisse beurteilen zu können.
Nach dem Ausflug in die Theorie zurück zur Praxis. Es gibt noch zahlreiche Kapitel, die sich dem Bau verschiedener Modelle widmen:
– Einer besonders hoch fliegenden Rakete,
– einer besonders kleinen Rakete,
– einer mehrstufigen Rakete,
– einer mehrmotorigen Rakete (sog. Cluster),
– der Helikopterbergung,
– dem Bau eines Raketengleiters,
– und einem Raketengleiter mit Druckluftantrieb.
Zum Schluss gibt es noch einen Ausblick auf leistungsfähigere, wiederladbare Motoren und den Entwurf eigener Raketen mit der frei verfügbaren Software „OpenRocket“.
Fazit: Ein großartiges Buch, das wirklich alle wichtigen Informationen enthält, Praxis und Theorie gleichermaßen behandelt, immer wieder auf mögliche Fehlerquellen und Sicherheitsrisiken hinweist und sie gut erklärt. Der Einsteiger kann sich sehr lange mit den vorgestellten Themen beschäftigen, viel lernen und viel Spaß dabei haben. Theoretiker kommen ebenfalls auf ihre Kosten, lediglich der erfahrene Handwerker oder Modellbauer wird vor keinen großen Herausforderungen stehen. Ein Wermutstropen für den deutschen Leser bleibt, dass – verständlicherweise – nicht auf die lokalen Verhältnisse (Gesetze, Vereine, Händler …) eingegangen wird bzw. werden kann, teilweise nur amerikanische Maßeinheiten verwendet werden und zuletzt das Buch nur auf Englisch verfügbar ist. Für den Austausch unter Gleichgesinnten und um noch mehr zu lernen gibt es in Deutschland jedoch genug Anlaufstellen, im Netz sowie im echten Leben.